von Suzanne Hüttenmoser Roth

Wenn Ehen älter werden

Gemeinsam zufrieden alt werden ist ein weit verbreiteter Wunsch von Paaren. Nach dem Auszug der Kinder, wenn endlich wieder mehr Zeit für die Partnerschaft da ist, haben jedoch einige Paare ein Schockerlebnis, wenn sich ihre Beziehung distanziert anfühlt, wenn sie erkennen, dass sie sich auseinandergelebt haben. Sie fragen sich dann: Ist alles nur Fassade? Fehlt unserer Beziehung das Fundament, auf dem sich eine tiefe, tragfähige Zuneigung hätte entwickeln können? Viele melden sich dann zur Paarberatung an, weil sie die Krise wahrnehmen, ihre Beziehung verändern und wieder gut entwickeln möchten. Ein anderer Anmeldungsgrund ist, dass ein Teil des Paares Zweifel hat, ob er oder sie noch in der Beziehung bleiben möchte.

Das Paar kommt in die Phase der nachelterlichen Partnerschaft und steht nun vor der Aufgabe, die Beziehung umzugestalten und den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Das Engagement für die Erziehung der Kinder fällt weg. Die freiwerdende Zeit kann für neue oder erweiterte Möglichkeiten der Freizeitgestaltung genutzt werden. Jedoch können ungeklärte Konflikte, die bisher in den Hintergrund gedrängt wurden, neu auftauchen und zu einer geringeren Zufriedenheit oder problematischen Entwicklung führen. Die Paare müssen sich in dieser Phase mit wichtigen Fragen auseinandersetzen: Wie steht es um unsere Beziehung? Mit welchen Vorstellungen sind wir in diese Ehe gestartet? Was haben wir davon verwirklicht? Können wir ein neues Ja für die Zukunft zueinander sagen? Wie verändern wir die Gestaltung unserer Partnerschaft oder die Rollenverteilung? Für die Gestaltung dieser Phase fehlen dabei vielen sowohl historisch wie auch gesellschaftlich gute Vorbilder. Noch nie hatten die Menschen in ihrer Mehrheit ein so langes Leben zu erwarten, noch nie waren die wirtschaftlichen Bedingungen so günstig für ältere Menschen wie heute.
Mit dem Erreichen der Lebensmitte verändert sich die Zeitorientierung. Mehr und mehr löst die Betrachtung der Jahre, die noch zu Leben bleiben, das Zählen der Jahre seit der Geburt ab. Personen in der Lebensmitte ziehen dadurch nicht nur in der Partnerschaft Bilanz, sondern in weiteren wichtigen Bereichen des Lebens und fragen sich: War das alles so richtig? Was wollte ich eigentlich in meinem Leben erreichen? Hätte man vielleicht Besseres erreichen können, wenn man sich anders entschieden hätte? Ist es schon zu spät, die Weichen neu zu stellen? War das wirklich schon alles?

Eine lebenslange und zugleich befriedigende Ehe oder Partnerschaft zu führen ist eine grosse Herausforderung, die nicht alle schaffen. Wie die hohen Scheidungsraten in der Schweiz zeigen, endet der anfängliche gemeinsame Lebensentwurf für viele Paare in einer Trennung oder Scheidung. Vor allem junge Ehen sind scheidungsanfällig, jedoch ist auch ein markanter Anstieg der Scheidungen nach einer längeren Ehedauer festzustellen. 1970 liessen sich laut Statistik in der Schweiz 3 Prozent nach einer Ehedauer von 20 und mehr Jahren scheiden. Dieser Wert hat sich über die Jahre erhöht und liegt gegenwärtig bei etwas über 18 Prozent. Nicht belegt sind die zusätzlichen Trennungen von Paaren, die nicht verheiratet waren.

Wie ist dieser markante Anstieg von Scheidungen bzw. Trennungen nach langjähriger Ehe zu erklären? Perrig-Chiello & Höpflinger nennen in ihrer Studie (2009) folgende Gründe:

  • Immer mehr Paare spüren Gefühle wachsender emotionaler Distanz, Enttäuschung und mangelndes gegenseitiges Verständnis
  • verbesserte wirtschaftliche und soziale Selbständigkeit
  • generelle Verunsicherung infolge gesteigerter Anforderungen an moderne Partnerschaften (Ideal der romantischen Liebesbeziehung)
  • Partnerschaft wird nicht mehr um der äusseren Normen willen eingegangen und aufrechterhalten, sondern um ihrer selbst willen, was sie auch viel unbeständiger macht
  • Trend, mehrere treue Partnerschaften hintereinander zu führen (serielle Monogamie)

Dennoch gibt es eine Mehrheit von Paaren, die trotz Krisen, Alltagsbelastungen und Routine nach langjähriger Ehe noch zusammen sind und sich dabei wohl fühlen. Laut Schmitt (2001) zeigen internationale Studien, dass 60 bis 70 Prozent der Paare im mittleren Erwachsenenalter mit ihrer Ehe zufrieden sind. Was hält diese Verbindungen zusammen? Ein Grundpfeiler langjähriger Partnerschaft ist wohl, dass Liebe und Zuneigung auch die Notwendigkeit des Zulassens von Verschiedenheit und Freiraum für die individuelle Entwicklung innerhalb der Partnerschaft vereinigt. Eine besondere Bedeutung liegt in der Bereitschaft und Fähigkeit der Partner, sich gegenseitig bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Lebensabschnitte und Pläne zu unterstützen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Schmitt betont die Bedeutung der Einflüsse wie eine gute Kommunikation, richtiger Umgang mit Konflikten, gegenseitige Unterstützung, gemeinsame Aktivitäten und bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, die zu einer zufriedenstellenden Beziehung im Alter beitragen können. Zu den wichtigen Persönlichkeitsmerkmalen gehören:

  • Offenheit für neue Erfahrungen
  • Verträglichkeit
  • das Gefühl, Situationen meistern zu können
  • eine gute Portion Gewissenhaftigkeit im Umgang mit sich und anderen
  • ein positives Selbstwertgefühl
  • eine soziale Orientierung
  • Bedürfnis nach Intimität

Wie sich die Partnerschaft in späteren Jahren gestaltet, hängt wesentlich davon ab, wie sich diese im mittleren Alter entwickelt hat und wie die einzelne Person gravierende Rollenveränderungen verarbeitet. Das mittlere Erwachsenalter ist eine ernstzunehmende Phase, die die älterwerdende Beziehung prägt und bisher relativ wenig erforscht wurde. Es ist daher noch zu wenig bekannt mit welchen sozialen Ressourcen die 40- bis 50-Jährigen sich auf ihre zukünftige Altersphase hinbewegen, ob sie dafür Pläne haben, sich darauf vorbereiten oder es mehr auf sich zukommen lassen.

Grosseltern werden ist ein wichtiges Ereignis und Chance für ein neues Rollenverständnis in langjährigen Ehen. In der Schweiz liegt das durchschnittliche Alter beim ersten Enkelkind bei 52 Jahren bei den Frauen und 54 Jahren bei den Männern. Gemäss Perrig-Chiello & Höpflinger sind die Leitvorstellungen zur Grosselternschaft durchwegs positiv geprägt. Enkelkinder bedeuten eine Weiterführung der familialen Generationenfolge und der Kontakt mit den Enkeln ist ein Anknüpfungspunkt an frühere Lebenserfahrungen (Kindheit, eigene Elternschaft). Grosseltern, vor allem Grossmütter, übernehmen eine wichtige und oft unersetzliche Rolle bei der Kleinkindbetreuung, damit die junge Generation Familie und Berufstätigkeit vereinen kann. Grosseltern sind in der Gestaltung der Enkelbetreuung recht frei, da sie keine Erziehungsverantwortung haben. Sie können Kindern und Jugendlichen Zeit, Gelassenheit und soziale Beziehung anbieten. Befragungen von Enkelkindern und Grosseltern über ihre persönliche Beziehung zur anderen Generation zeigen laut Perrig-Chielllo & Höpflinger mehrheitlich positive Ergebnisse. Grosseltern bleiben oft auch für Heranwachsende wichtige Bezugspersonen. Das gemeinsame Engagement als Grosseltern für die Unterstützung der Kinder und Enkel kann für die Partnerschaftsbeziehung sehr verbindend und beglückend sein.

Ein anderer wichtiger Lebensabschnitt ist die Pensionierung und die nachberufliche Lebensphase. Entgegen aller Befürchtungen zeigen Analysen zur Lebensqualität und Lebenszufriedenheit von Menschen nach der Pensionierung in der Schweiz, dass die Mehrheit nach einer Anpassungszeit sehr zufrieden und psychisch ausgeglichen ist und diese Zufriedenheit mit dem Alter sogar ansteigt. Viele der 65 bis 74 Jährigen arbeiten noch Teilzeit, gerade Personen mit einer guten Ausbildung möchten ihr Können und Wissen auch im Alter professionell einsetzen. Andere engagieren sich in sozialen oder ausserberuflichen Aufgaben oder pflegen ihre Hobbies und nutzen ihre Zeit für Freundschaften und Familie. Es ist nun Zeit da für neue sinnstiftende Projekte oder Engagements. Das Festlegen und Verfolgen von eigenen Lebenszielen ohne Arbeitszwang ist für viele sehr befriedigend. Was bedeutet dieser Lebensabschnitt für die Partnerschaft? Einmal mehr braucht es auch bei der Pensionierung und in der folgenden Anpassungszeit von beiden Teilen des Paares Flexibilität und die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Zielsetzungen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Liebe ist ein Kind der Freiheit. Daher ist für das Gelingen der Partnerschaft im Alter ebenfalls wichtig, dass jeder neben den gemeinsamen Aktivitäten genug Zeit für sich und die eigenen Interessen und Projekte hat.

Weiterführende Literatur für Interessierte:
Perrig-Chiello, P.& Höpflinger, F. (2009): Die Babyboomer. Eine Generation revolutioniert das Alter. Zürich: nzz libro
Schmitt, M. (2001): Zur Bedeutung intrapersonaler und beziehungsspezifischer Merkmale für die erlebte Ehequalität im mittleren Erwachsenenalter. Frankfurt: Lang

 

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