Suzanne Hüttenmoser Roth, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP

Paarbeziehung und neue Medien

Rund achtzig Prozent der Menschen im deutschsprachigen Raum haben Zugang zum Internet, sei das über den Computer, den Laptop oder das Smartphone. Seit dem Jahr 2000 ist ein Anstieg von 600 Prozent zu verzeichnen. Das bedeutet für die Schweiz, dass aktuell 5.1 Millionen Menschen einen Internetanschluss haben und es werden immer mehr. Durchschnittlich wird das Internet in der Freizeit pro Tag 53 Minuten genutzt. Die Hälfte der Internetzeit wird für soziale Aktivitäten verwendet. Welchen Einfluss hat das auf die Paarbeziehungen und für die Paarberatung?

Die Nutzung des Internets hat zunehmend Auswirkungen auf die Art und Weise wie sich Partner heute kennenlernen. Internetforen und Dating-Plattformen wie Parship, ElitePartner, eDarling und eHarmony stellen eine moderne Möglichkeit der Partnersuche dar, die immer mehr genutzt wird. Gerade wenn‘s nicht so klappt mit dem Treffen des idealen Partners oder der idealen Partnerin im näheren sozialen Umfeld, wird die Suche online gestartet. Der Vorteil ist eine schnelle, komfortable, diskrete und effiziente Partnersuche mittels Partnerprofil. Schnelle direkte Kontakte mit potentiellen Partnern entstehen durch den Wechsel von online zu Telefonkontakt und zu persönlichen Treffen. Es können auch mehrere potentielle PartnerInnen parallel kontaktiert werden. Immerhin entstehen 10-18 Prozent der Ehen heute durch Dating-Plattformen. Der Nachteil dieser Auswahl im Internet ist, dass sie eine leichte, verführerische Art bietet, dem Gefühl nachzugeben, dass es eine noch bessere Partnerin, einen noch besseren Partner gibt. Daher lassen einige sich nicht wirklich auf ein Kennenlernen und eine Beziehung ein, sondern suchen parallel weiter nach ihrem perfekten Partner.

Die vermehrte Nutzung des Internets sowie die ständig wachsende Anzahl an Chaträumen und sozialen Netzwerken begünstigen untreue Verhaltensweisen. Flirten mittels Internetforen ist gang und gäbe. Es gibt auch explizite Aufforderungen zur Untreue von einem Online-Dating-Service: „Life is short. Have an affair!“ Getreu diesem Werbeslogan suchen somit nicht nur Alleinstehende online nach einem Partner, auch Verheiratete beginnen im Internet eine Affäre (Mileham, 2007). Untreue in Partnerschaften ist ein relativ weit verbreitetes Phänomen. 47-76 Prozent der Partner sind im Verlauf des Lebens untreu (Greeley 1994, Kröger et al. 2010). Während der aktuellen Beziehung haben 15-26 Prozent der Frauen und 17-32 Prozent der Männer sexuelle Aussenkontakte (Kröger et al. 2010). Mit der vermehrten Nutzung des Internets steigt auch das Misstrauen über die Art der Online-Kontakte des Partners oder der Partnerin. Einige machen regelmässig Kontrollen, wer wo was mit wem austauscht, welche Internetseiten angewählt wurden. Wenn dann der Verdacht bestätigt wird, dass da etwas Bedrohliches läuft, kann es zur Anmeldung für eine Paarberatung kommen.

Seit gut zehn Jahren gibt es das neuere Forschungsfeld über die virtuelle Untreue. Es sind Statistiken aufgrund von Umfragen gemacht worden. Daher können hier konkrete Sachverhalte und Zahlen aufgeführt werden. Was ist mit virtueller Untreue gemeint? Dazu gehören sowohl die emotionale wie auch die sexuelle Untreue im Internet. Insbesondere der Verstoss gegen die emotionale Treue spielt zunehmend eine wichtige Rolle in der Paartherapie. Emotionale Untreue ist der Austausch persönlicher, gefühlsmässig wichtiger, eigentlich nur für den Partner bestimmte Inhalte mit einer anderen Person, mit der Intimität hergestellt wird.

Vielleicht haben Sie das Buch „Gut gegen Nordwind“ (Daniel Glattauer, 2006) gelesen, das ein Bestseller wurde. Es ist ein Briefroman über eine Internet-Liebschaft zwischen Leo und der ihm unbekannten, verheirateten Frau Emmi. Obwohl beide darauf achten, in ihren E-Mails möglichst wenig über ihr Leben zu verraten, kommen sie sich durch ihren regelmässigen Gedankenaustausch mit der Zeit näher. Im Verlauf der Email-Konversation stossen Emmi und Leo immer wieder auf Themen, die beiden unangenehm sind. So zieht Emmi es vor, nicht über ihren Mann und die Kinder zu reden, während Leo immer wieder äussert, dass Emmi seiner Meinung nach in dieser Beziehung nicht glücklich sei. Emmi erzählt Leo, dass ihr der Nordwind zu schaffen macht, weil sie durch ihn schlechter einschlafen kann, dass es mit einem Leo in ihrem Postfach allerdings viel einfacher sei. Beide deuten regelmäßig an, erotische Phantasien voneinander zu haben. Als Leo eines Abends im alkoholisierten Zustand eine E-Mail an Emmi schreibt, werden die Gefühle deutlich, die er für sie hegt und welche über das freundschaftliche Mass hinausgehen. Gleichzeitig ist Leo im Dilemma, einerseits empfindet er immer mehr Zuneigung für Emmi, andererseits weiss er, dass sie verheiratet ist. Schließlich wird seine Sehnsucht stärker, und er bittet Emmi noch in derselben Nacht, zu ihm zu kommen, um das zu tun, „was sich ergibt“.

Emotionale Online-Untreue kommt immer häufiger vor. Durch die rege Internetnutzung werden Freundschaften und Beziehungen aufgebaut. Der Zugang ist niederschwellig, wenige Mausklicke genügen. Früher musste man noch das Haus verlassen, sich irgendwohin bewegen, um jemanden zu treffen und kennenzulernen. Beim Suchen neuer Bekanntschaften bietet die Anonymität im Internet den Vorteil, dass man seine Identität verbergen kann. Für Menschen, die sich selber nicht als attraktiv wahrnehmen oder eher schüchtern sind, ist es einfacher, sich im Profil verführerisch oder als Abenteurer zu zeigen, sich als die Person auszugeben, die man oder frau halt gerne wäre. Die Bildbearbeitungsprogramme helfen mit, das eigene Bild oder ein fremdes zu optimieren, um mehr Chancen im Chat zu haben.

42 Prozent gehen dabei auch explizit eine virtuelle sexuelle Affäre ein. Zur virtuellen sexuellen Untreue gehören Flirten mit der Online-Bekanntschaft, über sexuelle Inhalte reden, Selbstbefriedigung während des Chattens und Nacktheit austauschen mittels Webcam oder Handy. 30 Prozent dieser zuerst virtuellen Affären werden dann auch im realen Leben weitergeführt (Bodenmann 2014). 

In unserer westlichen Kultur gilt Treue in Paarbeziehungen als wichtiger Wert. 80 Prozent der Erwachsenen und Jugendlichen sehen Treue als wichtigen Bestandteil einer Beziehung an. Interessant ist, dass 60 - 80 Prozent derjenigen, die sich als treu bezeichnen, angeben, dass sie emotional oder sexuell chatten (Brüstle, 2011). Sie sehen darin offensichtlich keinen Widerspruch, weil es nur virtuell ist. In der Paartherapie bagatellisieren die Chatpartner gerne ihre Online-Kontakte. Im Sinne, dass es doch nur ein Spiel im Internet war und keine persönlichen sexuellen Kontakte stattgefunden haben. Es ist jedoch nicht so, dass diese virtuellen Affären keinen Einfluss auf die Partnerschaft haben. Durch das Interagieren mit dem Chatpartner bleibt weniger gemeinsame Zeit für die Partnerschaft. Das Interesse und die Energie sind beim Online-Partner, dadurch ist weniger sexuelle und emotionale Nähe mit dem Ehepartner möglich. Die Chats laufen anonym und werden vor dem Ehepartner geheim gehalten. Beteiligte reagieren verschlossen und verärgert, wenn sie darauf angesprochen werden. Eine Online-Affäre wird vom betrogenen Partner als Vertrauensverlust und Verletzung empfunden, auch wenn diese nur im Internet ausgelebt wird. Rund zwanzig Prozent der Paare trennen sich nach dem Bekanntwerden der virtuellen Affäre. Andere Betrogene kommen stark verunsichert, gekränkt oder beschämt in die Beratung und erwägen eine Trennung. Trennen oder nicht trennen, mit Hilfe von Paartherapie wieder zueinander finden oder es selbst schaffen sind Fragen, die jeder Teil eines Paares für sich und beide miteinander nach einem solchen Vorfall beantworten müssen. 

Das Internet in die Partnerschaft mit-einzubeziehen ist wichtig. Auch heute ist es noch empfehlenswert, sich als Paar über die eigenen Bedürfnisse und Grenzen betreffend Beziehungen zu anderen auszutauschen und Abmachungen zu treffen. Das gilt genauso – oder erst recht – bezogen auf Internetkontakte.

 

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