Suzanne Hüttenmoser Roth, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP

Der sinnvolle Umgang mit Ärger und Wut

Wut wird meist als etwas Negatives gesehen. Mit ihr umzugehen fällt uns schwer, weil wir dazu erzogen worden sind, in ihr Destruktives, etwas Gefährliches zu sehen, das wir vermeiden müssen. Alle unsere Gefühle sind wichtig, sie teilen uns etwas mit: wenn wir ängstlich sind, dass wir aufpassen müssen, wenn wir traurig sind, dass uns jemand wehgetan hat, und wenn wir wütend sind, dass jemand unsere Grenzen überschritten hat. Wir sind nie grundlos wütend. Unsere Wut weist uns darauf hin, dass etwas nicht in Ordnung ist. Sie verdient deshalb unsere volle Aufmerksamkeit und Beachtung. Wir können lernen mit Wut umzugehen wie mit anderen Gefühlen auch. Wut taucht auf, wenn etwas zu viel ist, wenn wir an unsere Grenzen kommen, wenn wir überfordert sind, wenn wir uns ungerecht behandelt, abgelehnt oder verlassen fühlen. Wut ist ein starkes Gefühl und heftiger als Ärger. Wut baut sich auf, entwickelt sich aus einer Reihe von kränkenden und verletzenden Situationen, in denen wir uns geärgert haben und kann sich in einem Wutanfall entladen. Weil Wut auch verletzend und zerstörerisch sein kann, ist es wichtig, sorgfältig mit ihr umzugehen und sie nicht blind auszuagieren. Oftmals lösen ja gerade Menschen, die wir lieben, mit denen wir zusammenleben am meisten Wut bei uns aus. Deshalb ist es so wichtig, dass wir einen guten Umgang mit unserer Wut entwickeln, damit wir zu unserem Gefühl stehen können und unser Gegenüber mit Respekt behandeln.

Wut erkennen

Schwierig ist, dass wir oft gar nicht selber merken, dass wir wütend sind oder dass wir innerlich kochen. Wir reden uns ein, es sei alles in Ordnung und so kann sich die ungehörte Wut in uns immer mehr aufbauen. Anzeichen von verdrängter Wut können folgende Symptome sein (vgl. Timpe 2006):

  • Kopf- und Magenschmerzen
  • An den Fingernägeln kauen und die Nagelhaut abbeissen
  • Zusammengebissene Zähne oder nächtliches Zähneknirschen
  • Verspannte oder schmerzende Kiefermuskeln
  • Verspannungen in den Schultern und im Nacken
  • Unkontrollierte Ausbrüche zu unpassenden Zeiten

Nicht immer zeigt sich Wut offen, manchmal zeigt sie sich in indirekten Formen wie: unbeteiligt sein, Überheblichkeit, Ironie, Spott, Sarkasmus, Zynismus oder Rückzug. Wenn wir unsere Wut wahrnehmen können, nehmen wir sie schon ein wenig an und können eine Distanz zwischen der Wut und der Handlung entstehen lassen und unser Verhalten steuern.

Bei akuter Wut können wir ein paar Dinge tun, um zuerst einmal Energie abzulassen und uns wieder zu beruhigen:

  • Durchatmen, ein paar Mal tief ein- und ausatmen
  • Wut innerlich aussprechen: Ich bin so wütend
  • Den Ort des Geschehens kurz verlassen, sich zurückziehen, z.B. in die Toilette und dort Grimassen ziehen vor dem Spiegel, Zunge rausstrecken, knurren… , dann ein paarmal tief ein- und ausatmen, die Ausatmung verlangsamen bis der Puls wieder ruhig ist und erst dann zurückgehen
  • Wenn wir nicht wissen, warum wir wütend sind: uns zurückziehen und uns bewusst machen, wo im Körper sich die Wut befindet. Was sie sagen würde, wenn sie sprechen könnte. So können wir auch herausfinden, ob es sich um akuten Ärger oder eine tiefe unterdrückte Wut handelt.

In unseren Beziehungen zeigen sich oft unbewältigte Konflikte aus der Kindheit. Als Kind konnten wir uns nicht wehren gegenüber Angriffen und Ungerechtigkeiten unserer Eltern, weil wir zu klein und abhängig von den Eltern waren. Besonders Kinder, die abgelehnt, geschlagen oder sexuell ausgebeutet werden, erleben viel Hilflosigkeit und Ohnmacht. Sie tragen noch als Erwachsene den verborgenen Schmerz in sich. Dies kann als grosse innere Wut im Körper gespeichert bleiben und sich dann manchmal in ganz unpassenden Situationen entladen. In Paarbeziehungen zeigt es sich öfters, dass einer der Partner alte Verletzungen aus der Kindheit auf den Anderen projiziert. Was mit den Eltern hätte ausgetragen werden müssen, wird zum Konflikt zwischen dem Paar. Dann wird die Partnerin zum Beispiel zur vereinnahmenden, besitzergreifenden Mutter oder er wird zum sich entziehenden, ständig abwesenden Vater. Das kann viel Wut auslösen, die seit der Kindheit verdrängt wurde. Wenn die emotionale Reaktion auf einen aktuellen Konflikt ungewöhnlich heftig und lang oder übermässig bedrohlich ist, ist dies oft ein Hinweis darauf, dass ein tiefes altes Gefühl reaktiviert ist. Die Ursache für die Wut liegt dann weniger in der aktuellen Konfliktsituation, sondern in der Kindheit. Es hat eine Konfliktverschiebung stattgefunden. Nun sind mindestens zwei Konfliktherde aktiviert: der frühere und der aktuelle, auf den der alte Konflikt verschoben wurde. Hier macht es Sinn, in der Therapie dieser Wut nachzugehen und gemeinsam zu erforschen, woher sie kommt und was sich da kumuliert. Die Wut, die der früheren Person gilt, ist ernst zu nehmen. In der Therapie geht es darum, mittels aufarbeitenden Gesprächen und gezielten Übungen ein balancierteres, reiferes Ausleben der eigenen heftigen Gefühle zu erlernen.

Wut zeigt sich nicht nur im laut werden, Schreien oder Türknallen. Sehr verbreitet ist auch ein passiv aggressives Verhalten. Ein passiv aggressiver Mensch zeigt seine Aggressionen nie direkt, sondern er schmollt, ist beleidigt, zieht sich zurück oder mauert, so dass seine Partnerin sich schuldig fühlt. Obwohl er seine ganze Umgebung tyrannisiert, ist er sich seiner Macht nicht bewusst, sondern sieht sich selber als Opfer. In der Therapie kann er lernen, seine Bedürfnisse zu äussern und offen zu seinen Aggressionen zu stehen. Für die meisten Menschen braucht es viel Mut, ihre Bedürfnisse offen zu äussern und wütend zu sein. Unterdrückte Wut kann psychisch oder körperlich krank machen. Wenn jemand seinen Ärger und seine Wut ständig in sich hineinfrisst, können sich diese Gefühle auf Dauer gegen ihn selber richten. Dies kann zu Depressionen, Essstörungen, Angststörungen, Süchten, koronaren Herz-Kreislauferkrankungen, Magen-Darmerkrankungen, Migräne u.a.  führen.

Die Angst vor der Wut verlieren

Viele von uns wollen mit ihrer Unzufriedenheit und ihrer Wut nichts zu tun haben. Wir wünschen uns, dass es uns immer gut geht, unser Leben und unsere Beziehungen harmonisch verlaufen. Dieser Wunsch ist verständlich, entspricht aber nicht der Realität. Wir haben immer wieder und auch mit unseren Liebsten Interessenskonflikte und kommen in Situationen, die Ärger oder Wut erzeugen. Gerade wenn wir uns von unserem Partner oder unserer Partnerin zurückgewiesen fühlen, kann das heftige Gefühle auslösen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass unser Partner ein Leben lang bei uns bleibt, solange wir nur jedem Konflikt aus dem Wege gehen.

Wie aber können wir unseren Ärger und unsere Wut rechtzeitig und respektvoll ausdrücken, so dass sich die Wut nicht anstaut und sich nicht in einem Wutanfall Luft verschafft?

Da empfiehlt sich ein langsames und überlegtes Vorgehen. Sinnvoll ist zuerst eine Realitätsprüfung, sich fragen: Worüber bin ich wütend? Was hat mich so geärgert? Entspricht die Intensität der Wut dem Anlass oder dem, was die andere Person gesagt oder getan hat? Nach dieser Überprüfung gilt es den eigenen Aktivierungszustand einzuschätzen: Bin ich ruhig genug, meine Wut auf angemessene Weise auszudrücken? Oder brauche ich zuerst eine Rückzugsmöglichkeit, um mich zu beruhigen und klar zu werden, was ich sagen will?

Erst wenn ich ruhig bin und weiss, was mich ärgerlich und wütend macht, dann kann ich den Partner oder die andere Person fragen, ob er oder sie Zeit hat und offen für  Kritik ist.

Timpe (2006, S.110) empfiehlt folgendes Vorgehen:

  • Behandeln Sie die andere Person weiterhin mit Respekt. Lassen Sie sie ausreden und fallen Sie ihr nicht ins Wort. Vertreten Sie Ihre Interessen, ohne den anderen abzuwerten oder zu ignorieren.
  • Äussern Sie Ihre Gefühle als Ich-Botschaft und sagen Sie: “Ich bin wütend.“ Diesen Satz können Sie mehrmals mit der ganzen Intensität wiederholen. Sie tun der anderen Person damit nicht weh, da Sie nur von sich sprechen und keine Schuldzuweisungen machen.
  • Formulieren Sie eine konkrete Bitte: „Ich bin wütend und wünsche mir, dass du in Zukunft ….“
  • Benennen Sie Ihre Kritikpunkte so konkret und sachlich wie möglich. Erklären Sie, welche Folgen das Verhalten der anderen Person für Sie hat und welche Gefühle es bei Ihnen ausgelöst hat. „Wenn du mich ….dann fühle ich mich …“
  • Hören Sie Ihrem Gegenüber zu und bemühen Sie sich, seine Sichtweise zu verstehen.
  • Vermeiden Sie die Ausweitung des Konflikts, greifen Sie nicht auf Ereignisse aus der Vergangenheit zurück.
  • Machen Sie keine Schuldzuweisungen.
  • Denken Sie daran, dass das Ziel die Lösung des Konflikts ist und nicht der Sieg oder die Niederlage einer Person sein sollte.
  • Bleiben Sie solange, bis Sie gemeinsam beschliessen das Gespräch zu beenden.

Viele Konflikte lassen sich nicht mit einem einzigen Gespräch lösen. Wenn der Puls während des Gesprächs steigt, ist es oft sinnvoll eine Pause zu machen. Die Distanzierung kann helfen, sich wieder zu sammeln und erneut klar zu werden. Manchmal ist es auch zweckmäßig sich für einen anderen Tag zu verabreden, um miteinander den Konflikt zu klären. Es ist nicht von Nutzen die ganze Nacht zu diskutieren, auch wenn es manchmal schwer ist, einen ungelösten Konflikt auszuhalten. Ich empfehle in Paartherapien, dass keine wichtigen Gespräche nach 21 Uhr stattfinden, weil mindestens eine Person schon zu müde und dadurch nicht mehr aufnahmefähig ist. Dann ist es sinnvoller miteinander einen Termin zum Beispiel am Samstagnachmittag abzumachen.

Wenn wir lernen unsere Wut  angemessen zu äussern und offen zu unseren Bedürfnissen zu stehen,  kann Wut auch Nähe und Intimität erzeugen. Wir ziehen uns nicht zurück und schmollen, sondern teilen unserm Partner oder unserer Partnerin mit, was uns bewegt. Dadurch geben wir unserem Gegenüber ebenfalls die Chance sich zu öffnen.

 

Weiterführende Literatur für Interessierte:
Anita Timpe (2006): Ich bin so wütend! Nutzen Sie die positive Kraft Ihrer Wut.
Theodor Itten (2007): Jähzorn.
Marshall B. Rosenberg (2009): Gewaltfreie Kommunikation.

 

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